Heulend jagte der Sturm über Burg Eisenstein, trieb Wolken und Regen vor sich her, lies die Dachziegel klappern, und blies in die Schornsteine, dass in den Kaminen Funken aus den Feuern sprangen. Die kleine Schar Touristen, die sich in der behaglichen Bibliothek versammelt hatte, saß dicht gedrängt auf den Sofas vor dem Kamin, und lauschte der sonoren Stimme des Burgherrn, als er routiniert wie immer die Geschichte von Graf Friedrich von Eisenstein, seinem Vorfahr erzählte:
Damals, meine Damen und Herren, gewannen die Kaufleute aus den großen Städten immer mehr Macht. Sogar der Kaiser hatte Schulden bei ihnen. Der Ritterstand verarmte immer mehr, und so mancher Edelmann verdiente sich mit Wegelagerei sein Brot. Auch Graf Friedrich betrieb dieses Geschäft, doch im Gegensatz zu seinen anderen Adelsgenossen war er in der Bevölkerung recht beliebt. Seine Opfer waren nicht die Bauern in der Umgebung, sondern die Kaufmannszüge, die quer auf der alten Handelsstraße durch die dichten Wälder fuhren. Oft teilte er reichlich Tabak, Gewürze und Wein, auch manchen Ballen edlen Stoffes mit den Bauern, die unterhalb seiner Burg wohnten. Den Kaufleuten war das natürlich ein Dorn im Auge, denn durch seine Großherzigkeit hatte er viele Helfer, die ihn warnten, wenn die Handelsherren ihre Schergen aussandten, um ihn zu fangen.
Geschichten ranken sich gar viele um ihn: Einmal soll er die Hochzeit einer reichen Kaufmannsfamilie überfallen, und doch nur der Braut einen Kuss geraubt haben. Ein Andermal räumte er dem Abt des Klosters während der Messe den ganzen Weinkeller aus.
Doch es kam, wie es kommen musste. Die Söldner der Kaufleute legten ihm einen solchen Hinterhalt, Vierzig zu Eins waren sie ihm überlegen. Friedrich kämpfte wie ein Löwe, und so mancher Söldner bereute an diesem Tag sein Handwerk. Aber sie überwältigten ihn und schafften ihn gefesselt auf seine Burg, wo die Handelsherren über ihn zu Gericht saßen. Keine Gnade kannten sie, und Friedrich bat auch nicht darum. Trotzig beschimpfte er die Richter, auch dann noch als sie das Urteil über ihn sprachen:
Lebendig eingemauert, ohne Wasser und Brot, im höchsten Turm seiner Burg. Selbst als sie den letzten Stein in die Tür setzte verfluchte er seine Häscher. Tagelang soll er durch die Schießscharten nach seinen Männern gerufen haben; weit in das Land waren seine Schreie zu hören, bis er endlich schwieg und die Getreuen seinen Tod beweinten. Doch als die Kaufleute die Kammer im Turm öffnen ließen, fanden sie keine Leiche. Nicht eine Spur war von Friedrich zu finden. Seit dieser Zeit erzählt man sich, dass in Sturmnächten wie dieser, Graf Friedrich in den Turm zurückkehrt, und weit über das Land nach seinen Getreuen ruft.
Der Burgherr schwieg, und seine Gäste starrten nachdenklich ins Feuer. Der Wind rüttelte an den Fenstern, heulte um die Ecken, und plötzlich war allen, als hörten sie vom Turm herüber ein Rufen, wild und verzweifelt, und alle schauderten. Nur der Burgherr lächelte verschmitzt.