Wenn ich den Verstand verloren habe, soll mir das auch recht sein. Mir ist neulich etwas passiert – aber ich will der Reihe nach erzählen … Es war ein arbeitsreicher Tag und ich war sehr müde. Für meine Verhältnisse ging ich früh ins Bett, aber die Ereignisse des Tages ließen mir keine Ruhe. Schlaflos wälzte ich mich umher und glitt in eine Art Dämmerzustand, mehr Traum als Schlaf. Plötzlich hatte ich das Gefühl ich würde stürzen. Jäh fuhr ich hoch und schlug mir den Kopf an der Zimmerdecke an. Nicht dass ich unter einer Dachschräge schliefe oder die Decke im Schlafzimmer besonders niedrig sei; nein, ich schwebte etwa 50 Zentimeter unter der Decke und rieb mir die schmerzende Stirn, bis ich begriff, dass mein Bett etwa 2 Meter unter mir war. Sofort begann ich mit den Armen zu rudern, aber erreichte nur, dass ich mich in Panik um die eigene Achse drehte. Ich schwebte wie von der Schwerkraft befreit, und hatte keine Ahnung was mich in der Luft hielt, aber ich fühlte, dass ich nicht abstürzen würde.

Durch die Armbewegungen war ich mit den Füßen näher an die Wand gekommen; ich drückte mich mit den Beinen von der einen Wand weg – viel zu kräftig – und schoss auf die gegenüberliegende Wand zu. Gerade noch konnte ich verhindern, dass ich mit dem Kopf anschlug. Meine nächsten Versuche gestaltete ich etwas vorsichtiger. Bald hatte ich den Bogen heraus und glitt durch die Luft wie ein Delfin durchs Wasser. Ich tauchte hinab zum Boden, stieg wieder zur Decke hinauf, drehte Pirouetten, und jauchzte vor Freude über meine neue Fähigkeit.

Übermütig schwamm ich zum Fenster, öffnete es und blickte hinaus in die Nacht. Ob es dort draußen auch funktionieren würde? Vorsichtig schob ich mich hinaus, schwebte für einen Moment über dem Abgrund unter mir. Dann stieß ich mich ab und sauste wie ein Pfeil in den Himmel; vorbei an hell erleuchteten Fenstern und hinauf in die samtene, sternenübersäte Dunkelheit.

Der Nachtwind trug mich fort, ich tanzte mit Wolkenfetzen und war so voller Glück, dass ich nicht bemerkte, wie sich am Horizont der Sonnenaufgang ankündigte. Aber als die ersten Strahlen über mich leckten, spürte ich, wie meine Fähigkeit schwand. Ich stürzte aus großer Höhe hinab, ruderte wie wild mit Armen und Beinen und konnte meinen Sturz gerade noch in der Krone eines großen Baumes bremsen. Benommen kletterte ich hinab, setzte mich zitternd in das vom Tau feuchte Gras unter dem Baum, und atmete erst einmal tief durch. Danach machte ich mich, mit blauen Flecken übersät und im Pyjama auf dem Heimweg.

Wie gesagt, wenn ich den Verstand verloren habe, soll mir das auch recht sein. Aber vielleicht kennen sie ja dieses Gefühl, zwischen Wachen und Träumen; beim Hineingleiten in den Schlaf, wenn der Körper entspannt und man sich so wunderbar leicht fühlt. Dann passen Sie bloß auf: Es könnte sein, dass Sie das nicht bloß träumen …

Erschienen in: Feuergott