„Heute ist der Tag des Fleisches!“ sagte Günther und schlug krachend seine große Hand auf Helgas Hinterteil. „Au, du Grobian!“ rief sie und rieb sich die brennende Stelle. „Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass ich das nicht leiden kann!“

„Nun zier dich nicht so, Mäuschen! Papa ist mal wieder in Stimmung.“ Mit einem Grunzen setzte sich Günther auf den Küchenstuhl, sein dicker Bauch quoll unter dem zu knappen T-Shirt hervor. Lüstern beobachtete er, wie Helga in ihrem dünnen Sommerkleidchen vor der Küchenzeile hin und her huschte, während sie das Abendessen vorbereitete. Das würde wieder ein Genuss werden, überlegte er, als sich Helga bückte, um die Pfanne aus der Schublade unter dem Herd zu nehmen.

„Musst du mich immer so anstarren?" fragte sie „mir läuft es da eiskalt den Rücken runter!“ „Nun hab ich nicht so!“ meinte Günther „Ein Mann wird seine Frau doch noch anschauen dür-fen? Und außerdem: Du stehst da doch auch drauf, was, Schnuckelchen?“ Helga schluckte ihre Erwiderung hinunter. Wenn er wieder so drauf war, war es besser ihm seinen Willen zu lassen.

Helga dachte an den kleinen Beutel, den sie von Monika bekommen hatte und der jetzt ganz harmlos im Gewürzregal zwischen Dill und Oregano lag. Seit Wochen dachte sie schon darüber nach. Sollte sie es heute tun? „Nun mach schon, Süße, ich brauch es jetzt!“ dröhnte hinter ihr Günthers Stimme. Ihr Entschluss stand fest: Ja, heute war es soweit.

Sie holte das große Rinderfilet-Steak aus dem Kühlschrank, prüfte die Hitze in der Pfanne und legte das Fleisch hinein. Sofort brutzelte und zischte es und der Bratengeruch verteilte sich in der Küche. „Ja, Baby!“ rief Günther „Mach es mir!“ Gott, wie sie das hasste! Monika hatte Recht, sie hätte es schon längst tun sollen. Vorsichtig nahm sie den Beutel von Gewürzregal, streute etwas über die eine Seite des Steaks, wendete es, und behandelte die andere Seite auch damit. Sie nahm das Fleisch aus der Pfanne, legte es auf einen Teller, drückte kurz mit der Gabel darauf, um zu prüfen, ob es auch schön blutig war. Dann stellte sie den Teller vor Günther auf dem Küchentisch. „Lass es dir schmecken, Liebling!“

Günther schüttete reichlich Barbecue-Soße über das Steak, schnitt sich ein Stück ab und steckte es in seinen Mund. „Hm, du weißt genau, wie ich es gerne hab!“ schmatzte er während des Kauens. Helga beobachtete ihn. Gleich musste die Wirkung einsetzen. Plötzlich wurde Günthers rotes Gesicht ganz bleich. Er kaute noch ein, zwei Mal auf dem Bissen herum und schluckte ihn schließlich mit sichtlichem Widerwillen hinunter. Lustlos schnitt er ein weiteres Stück ab, tunkte es tief in die Soße und schob es sich in den Mund. Dann starrte er Helga an.

„Schmeckt es dir nicht?“ fragte sie unschuldig. Günther würgte, rang nach Luft und spuckte das Fleisch wieder aus. Langsam kam seine Gesichtsfarbe wieder. Angewidert schob er den Teller weg, blickte Helga an und fragte "Du machst dir doch immer so einen leckeren Salat. Meinst du, das reicht für uns beide?" "Aber natürlich!" lächelte Helga, stand auf und ging zur Küchenzeile. Heimlich, damit es Günther nicht sah, legte sie den kleinen Beutel wieder zurück ins Gewürzregal. Vegetarier in fünf Minuten stand darauf. Und das mit den Umgangsformen, dachte sie, das krieg ich auch noch hin.

© Peter Hellinger

Erschienen in: Feuergott